Händler und Wirte atmen auf

21. Mai 2021 ©
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Friedberg (dpa/lhe) - Die Erleichterung ist groß bei Jochen Ruths: Nachdem die Wetterau hessenweit als erster Landkreis die zweite Stufe der Corona-Lockerungen erreicht hat, dürfen wieder Kunden in sein Modekaufhaus zum Shopping kommen - ganz spontan, ohne Corona-Test, nur die FFP2-Maske ist noch Pflicht.
Wie alle Textilhändler musste Ruths, der auch Präsident des Handelsverbandes Hessen ist, seine beiden Geschäfte in Friedberg und Bad Nauheim fünf Monate lang geschlossen halten. Fast während der gesamten Zeit war nur Onlinegeschäft möglich. «Aber das ist kein Lebensinhalt - 10.000 Päckchen packen und 6000 wieder auspacken», sagt Ruths mit Blick auf die vielen Retouren im Versandhandel.
Der Neustart jetzt lasse auf eine Rückkehr zur Normalität für die gesamte Branche in Hessen hoffen. Die staatlichen Hilfen seien zwar besser als nichts gewesen, doch mit den üblichen Umsätzen nicht zu vergleichen. Vor allem aber habe der persönliche Kontakt mit den Kunden gefehlt, sagt Ruths. Zuletzt konnten die per «Click & Meet» einen Termin im Geschäft ausmachen und dort einkaufen - dank Bundesnotbremse, die für den Handel in Hessen sogar Erleichterungen brachte. Zur Überbrückung sei das zwar ein positiver Schritt gewesen, doch habe die Pflicht zum vorherigen Corona-Test viele Kunden vom Gang in die Geschäfte abgehalten.
In der Wetterau dürfen mit Stufe zwei nun auch die Schüler von der ersten bis zur 13. Klasse in den Präsenzunterricht zurückkehren. Stufe eins gilt weiterhin in Darmstadt sowie den Landkreisen Darmstadt-Dieburg, Hochtaunus, Marburg-Biedenkopf, Rheingau-Taunus und Vogelsberg. Noch am Freitag sollte auch der Kreis Bergstraße in die erste Stufe aufsteigen. Die Landkreise Gießen, Main-Taunus und Odenwald sollen am Samstag in diese Gruppe folgen. Damit dürfen auch dort die Menschen wieder mit Termin und ohne vorherige Testpflicht shoppen gehen und Biergärten, Cafés und Restaurants zumindest ihre Außenbereiche unter Auflagen wieder öffnen.
Noch zu Beginn der Lockerungen hatten viele Wirte zunächst abgewunken - zu hoch sei der Aufwand, neben der Erhebung von Gästedaten auch noch Coronatests sowie Impfnachweise zu kontrollieren. Das entfällt mit dem Erreichen der Stufe zwei jetzt im Wetteraukreis für die Außengastronomie - und zusätzlich dürfen sich die Gäste unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln auch drinnen wieder ein Essen bestellen oder ein Getränk servieren lassen, wenn sie einen tagesaktuellen Corona-Test vorlegen.
Damit dürften die Geschäfte bald wieder in Schwung kommen, hofft Hauptgeschäftsführer Julius Wagner vom Branchenverband Dehoga Hessen. Dafür sprächen auch die zahlreichen Reservierungen in den Wetterauer Lokalen: «Die Buchungslage ist ausnehmend gut», sagte Wagner. Mit dem Öffnen der Innenräume seien die Betriebe jetzt nicht mehr witterungsabhängig.
Kommunen und Ordnungsämter sehen die sinkende Zahl der Neuansteckungen, die mit Erleichterungen für Bürger, Handel, Gastronomie und weitere Bereiche verbunden sind, mit Freude, finden teils aber auch mahnende Worte. So erklärte der für das Ordnungsamt zuständige Gießener Bürgermeister Peter Neidel, es sei sehr wichtig, «auch weiterhin die Hygieneregeln einzuhalten, damit die jetzigen Lockerungen erhalten bleiben, beziehungsweise erweitert werden können».
In Bad Nauheim haben die Ordnungshüter die Erfahrung gemacht, dass die meisten Gewerbetreibenden und Gastronomen auch angesichts der Lockerungen nichts falsch machen wollen - um Bußgelder zu vermeiden und wiedergewonnene Freiheiten nicht aufs Spiel zu setzen, wie es von der Stadt heißt. Deshalb sei hauptsächlich Aufklärungsarbeit gefragt, da die Bürger viele Fragen zur Handhabung der Lockerungen hätten. Unvorsichtig seien die Menschen aber nicht geworden - eher im Gegenteil, heißt es aus der Kur-Stadt: «Vermutlich aufgrund der zuletzt doch sehr lang anhaltenden Schließungen ist auch bei den Bürgern eine gewisse Besonnenheit beim Umgang mit den «neuen» Freiheiten zu beobachten», erklärte die Stadt.
Wie in Bad Nauheim gab es auch in Darmstadt seit Beginn der Lockerungen laut Ordnungsdezernat nicht mehr Kontrollen. «Die Erfahrung ist jene, dass sich ganz überwiegend an die Regelungen gehalten wird», erklärte ein Sprecher der südhessischen Stadt. In der Gastronomie gebe es vereinzelt Beschwerden darüber, dass die Kunden im Außenbereich zu eng sitzen. «In einer einzigen Gaststätte wurde bisher festgestellt, dass auch drinnen gegessen wurde. Im Übrigen gibt es keine Probleme.»
Bei aller Erleichterung über die Öffnungsmöglichkeiten bleibt im Handel auch die Sorge um diejenigen, die die Corona-Krise wirtschaftlich nicht überstehen. Gerade im stationären Textilhandel in den Innenstädten liefen die Geschäfte schon vorher schleppend - und die Lage dürfte sich weiter verschärfen, erwartet Ruths. Besonders schwer hätten es Anbieter mit großen Verkaufsflächen in den Großstädten, wo hohe Mieten zu schultern seien. Auch nach der Pandemie sei deshalb mit weiteren Filialschließungen zu rechnen, erwartet der Präsident des Handelsverbandes Hessen.
© dpa-infocom, dpa:210521-99-685465/2
Quelle: dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH

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