«Applaus ist verhallt, die Belastung hält an»

11. Mai 2021 ©
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Mainz/Wiesbaden (dpa/lrs) - Zu Beginn der Corona-Pandemie wurden Pflegekräfte in den Krankenhäusern und Altenheimen noch mit Applaus bedacht, ein Bonus ausgezahlt.
Was ist davon mit Blick auf den internationalen Tag der Pflegenden am Mittwoch (12. Mai) übrig geblieben? «Nichts», antwortet Sebastian Krug, Referent Pflege beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Hessen. Die Kollegen und Kolleginnen seien frustriert. «Wir haben kurzfristig Systemrelevanz erlebt, aber es gab keine signifikanten Änderungen.» Die Mitarbeitenden seien aufgrund der anhaltenden Belastung ausgelaugt und müde.
«Der abendliche Applaus ist verhallt, die Belastung hält an», fasst es Dorothea Grund-Ueckert zusammen, Referentin für neue Wohn- und Betreuungsformen im Landesverband Hessen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Den einmaligen Corona-Bonus, den Pflegekräfte im vergangenen Jahr erhalten haben, bezeichnet Krug als «unheimlich beschämend». Viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Krankenhaussektor hätten den Bonus gar nicht erhalten, obwohl sie auf Corona-Intensivstationen gearbeitet hätten.
Ein «Witz», sagt Birgit Kittner-Meier dazu. Sie leitet den Pflegedienst der Sozialstation des ASB in Karben im hessischen Wetteraukreis. Manche Kollegen und Kolleginnen hätten das Geld nur voller Scham entgegengenommen und sich gefragt, warum sie «belohnt» wurden, die Mitarbeiter im Supermarkt jedoch nicht.
«Für Pflegekräfte ist das Image ihres Berufes wichtig», meint die Vorstandsvorsitzende des DRK-Landesverbandes Rheinland-Pfalz, Anke Marzi. Ständig sei nur die Rede davon, wie anstrengend alles sei und der Eindruck erweckt, in der Pflege müsse man rund um die Uhr schuften, ohne etwas zurück zu bekommen. «Gerade in der Altenpflege ist das aber nicht so», weiß die Vorsitzende der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Rheinland-Pfalz. Vielmehr sei es eine sinnstiftende Tätigkeit, interessante, spannende Menschen auf ihrem Weg zu begleiten.
Der Beruf kombiniere viele attraktive Punkte miteinander, findet die Diözesancaritasdirektorin des Bistums Mainz, Nicola Adick. Pflege könne überall in der Welt ausgeübt werden. Man sei zeitlich und örtlich flexibel, könne sowohl in der Krankenhauspflege als auch in der Altenhilfe arbeiten und habe sehr gute Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten.
«Wir begleiten Menschen an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr, wenn es nötig ist», erklärt Uwe Seibel, Geschäftsführer des Regionalverbandes Südwest des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe. Pflegekräfte sorgten für ein würdevolles Leben auch in Zeiten von Krankheit oder Pflege.
Die Pflegekraftfachkraft Anna Hahn etwa kennt häufig die gesamte Familiengeschichte ihrer Patienten, weiß um Enkelkinder und Hobbys. Hahn arbeitet für die Sozialstation des ASB in Karben. Den Kräften in der ambulanten Pflege fehle vor allem die Zeit, stellt sie fest. «Manchmal sind es nur fünf Minuten, die wir länger bleiben müssten, aber wir können nicht, weil alles so eng getaktet ist.»
Ein Zustand, der auf Dauer zermürbt und dazu führt, dass manche aufgeben. Viele hätten in der Pandemie psychische Erkrankungen entwickelt, auch weil sie vorher schon am Limit gearbeitet hätten, berichtet Kittner-Meier. 8 von 43 ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien seit einem Jahr krankgeschrieben. Ob sie je in ihren Beruf zurückkehren können, sei unsicher.
Immerhin ist in den jüngsten Koalitionsstreit um eine bessere Bezahlung von Pflegekräften wenige Monate vor der Bundestagswahl Bewegung gekommen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) brachte einen Vorschlag auf den Weg, nach dem ab 1. Juli 2022 Versorgungsverträge nur noch mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden dürften, die nach Tarifverträgen oder tarifähnlich bezahlen. Auch eine bessere Bezahlung dringend benötigter Pflegekräfte ist erklärtes Ziel der großen Koalition. Ein Anlauf für einen Tarifvertrag, den Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die ganze Branche verbindlich machen wollte, scheiterte allerdings.
Die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas, die aus Vertreterinnen und Vertretern sowohl der Dienstnehmer als auch der Dienstgeber besteht, hatte diesen einheitlichen Tarifvertrag abgelehnt - und dafür viel Kritik einstecken müssen. «Eine Entscheidung dafür hätte weitreichende Folgen für die tarifliche Bezahlung der Caritasmitarbeitenden haben können», erläutert Adick. Bei einer Zustimmung wäre das Lohnniveau gefährdet gewesen, da Kostenträger eine Refinanzierung hätten verweigern können. In manchen Lohngruppen hätte die Gefahr bestanden, dass es zu Einbußen in Höhe von bis zu 50 Prozent gekommen wäre.
Mitnichten hätte die Einführung eines einheitlichen Tarifvertrages an irgendeiner Stelle zu einer Absenkung von Gehältern geführt, betont dagegen Krug. «Das ist gesetzlich ausgeschlossen.» Alle Träger, die besser vergüten, als es der einheitliche Tarifvertrag vorgesehen hätte, hätten weiter vollen Anspruch auf ihre Refinanzierung in den Verhandlungen mit den Kostenträgern gehabt.
Die Sicherung der Fachkräfte im Pflegebereich sei eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, teilt dazu die rheinland-pfälzische Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) mit. «Bessere Löhne sind für die Attraktivität der Pflegeberufe unverzichtbar. An dem Ziel eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags in der Altenpflege halten wir fest», betont Bätzing-Lichtenthäler.
«Wir brauchen nicht einen Tarifvertrag für alle, sondern wir müssen festlegen, was drin stehen soll», fordert der Diözesancaritasdirektor des Bistums Limburg, Jörg Klärner. Dabei ginge es nicht nur um Lohn und Urlaub. Wichtig sei auch eine Vergütung von Überstunden, eine betriebliche Altersvorsorge und Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Was sich die Pflegekräfte zum Tag der Pflegenden mehr als alles andere wünschen, sei kein Applaus oder ein weiterer Bonus. Viele sagten, sie würden gerne so arbeiten, wie sie es gelernt haben, führt Kittner-Meier aus. Mit Zeit für ihre Patienten und ohne wirtschaftliche Zwänge im Hinterkopf.
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Quelle: dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH

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