Zitterpartie für Musikfestivals in Hessen

17. Juli 2021 ©
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Wetzlar/Kassel/Nidderau (dpa/lhe) - Den Veranstaltern von Musikfestivals in Hessen macht die Corona-Pandemie weiter schwer zu schaffen.
Viele Festivals sind auch in diesem Jahr abgesagt, andere können nur mit deutlich weniger Zuschauern an den Start gehen oder müssen noch das kurzfristige Aus fürchten, weil die Infektionszahlen wieder steigen. Auch das Publikum zeigt sich noch zurückhaltend beim Ticketkauf - obwohl nach dem monatelangen Lockdown mit Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen Viele mit einem Ansturm gerechnet hatten.
So hat es auch Jens Seifried, Organisator des regionalen Rock- und Metalfestivals «Rock den Acker» in Nidderau (Main-Kinzig-Kreis), erlebt. Nach der Absage im vergangenen Jahr musste die Veranstaltung auch im Mai dieses Jahres wegen der anhaltenden Pandemie zunächst vertagt werden. Jetzt fand sie in kleinerem Rahmen von Freitag bis zum (heutigen) Samstag statt - und zwar coronakonform dieses Mal als «Hock den Acker»: Bis zu vier Musikfans teilten sich dabei eine per Flatterband abgeteilte Parzelle, um Menschenansammlungen auf dem Platz zu vermeiden. Die Gäste mussten sich registrieren und Masken tragen, die nur innerhalb der Parzellen abgenommen werden durften.
Zugelassen waren nur rund 200 Zuschauer statt wie sonst rund 750. Trotzdem waren auch wenige Tage vor Beginn noch reichlich Karten zu haben. Mit dem Konzept wollte Seifried zeigen, dass auch Rockfestivals verantwortungsbewusst organisiert werden können - was in der Politik aus seiner Sicht nicht immer wahrgenommen wird.
Aber auch das Publikum spielt nicht immer so mit, wie sich die Veranstalter das wünschen: Für das regionale Festival «Rock 'n' Ride» in der Event Werkstatt Wetzlar beispielsweise kommt der Vorverkauf nicht richtig in Schwung, wie Mitorganisator Carsten Richter vom V-Team Wetzlar sagt. Neun Bands wollen vom 6. bis zum 8. August beim Rock 'n' Ride antreten - zu einem Eintrittspreis von 15 Euro. Stattfinden soll das Festival in einer coronakonform ausgestatteten Halle.
Weil die rund 700 zugelassenen Zuschauer geimpft, genesen oder negativ getestet sein müssen, die Zahl der Nichtgeimpften begrenzt ist und die Tickets vorab online gekauft werden müssen, habe er sich viel Kritik anhören müssen, sagt Richter - von Vorwürfen, Nichtgeimpfte würden ausgeschlossen bis hin zu Datenschutzbedenken. Dabei sollte aus seiner Sicht die Freude darüber, dass endlich wieder Live-Veranstaltungen stattfinden können, im Vordergrund stehen. Richter hofft jetzt noch auf einen Spurt beim Ticketverkauf, um wenigstens die Kosten decken zu können. Sollten aber bis 23. Juli nicht wenigstens 260 Karten für das Festival verkauft werden, müsse die Veranstaltung abgesagt werden.
Absagen hatte es in diesem Sommer bereits im zweiten Jahr in Folge für eine ganze Reihe großer und kleiner Veranstaltungen gegeben - vom Darmstädter «Schlossgrabenfest» bis zum traditionsreichen «Herzberg Festival», dessen Organisatoren ein Alternativ-Programm im Museumshof in Fulda aufgelegt haben. Gut sieht es dagegen für die «Sommerwerft» aus, die am 23. Juli in Frankfurt eröffnet werden soll. Nach der coronabedingt deutlich reduzierten Ausgabe im letzten Jahr soll nun, pünktlich zur 20. Ausgabe, wieder etwas größer gefeiert werden, wie die Veranstalter erklärten. Unter dem Motto «Sichtbar Machen» sollen am Mainufer an der Weseler Werft bis zum 8. August neben Theater und Tanzkunst auch viel Musik, Poetry Slams und Open Air Kino geboten werden.
Gemeinsam mit dem Frankfurter Gesundheitsamt sei ein umfassendes Hygienekonzept erstellt worden, dieses solle «ein möglichst uneingeschränktes Festivalerlebnis bei höchstmöglicher Sicherheit garantieren», hieß es. Bis zu 2000 Menschen dürfen demnach gleichzeitig das Gelände betreten. Zugang bekommt aber auch hier nur, wer vollständig geimpft, negativ getestet oder genesen ist.
Dagegen war Hessens größtes Festival «Open Flair» in Eschwege (Werra-Meißner-Kreis) für dieses Jahr bereits zum zweiten Mal infolge abgesagt worden. Rund 25.000 Menschen pro Tag besuchen nach Veranstalterangaben die sechstägige Veranstaltung. Als Alternative soll es in diesem Jahr - wie bereits 2020 - coronakonforme Ersatzveranstaltungen unter dem Titel «Insel Flair» (12. bis 15. August) geben.
Weil die Nachfrage nach dem Mini-Festival mit maximal 500 Besuchern groß gewesen sei, gebe es vor und nach dem «Insel Flair» noch eine «Flairlängerung» mit Konzerten an den Wochenenden vom 30. Juli bis zum 28. August, sagt Festivalmacher Alexander Feiertag. «Wir sind froh, dass wir wenigstens ein bisschen was machen können» - auch wenn die Organisation der Alternativveranstaltungen nicht ganz einfach gewesen sei vor dem Hintergrund sich stetig verändernder Corona-Verordnungen. Er forderte Planbarkeit für die Veranstalter. «Wir fühlen uns nicht verstanden.» Ein Festival sei nicht innerhalb von vier Wochen aus dem Boden zu stampfen. «Wir müssten eigentlich jetzt mit den Planungen für 2022 beginnen angesichts der vielen Dienstleister und der 1700 ehrenamtlichen Helfer, die mit im Boot sind», erklärt Feiertag.
Ähnlich äußert sich Sabine Glinke, eine der Sprecherinnen des Aktionsbündnisses «Festivals in Hessen», in dem sich die Veranstalter von insgesamt 42 Veranstaltungen im Frühjahr zusammengeschlossen hatten. In einem gemeinsamen Positionspapier forderten sie eine transparente Kommunikation zwischen Politik und Kultur, Planungssicherheit und nachhaltige Förderprogramme. Getan habe sich seither allerdings nicht viel Positives für die Branche, sagte Glinke. Die Ausbreitung der Virus-Varianten, die insgesamt steigenden Infektionszahlen und ein Regelungs-Wust machten den Veranstaltern das Leben schwer. Zudem gebe es viel Unwissenheit über die Besonderheiten und Sorgen der Branche, sagte sie.
Seit Monaten ist das Bündnis deshalb mit Politikern im Gespräch, um die Anliegen vorzubringen, darunter ein besserer Zugriff auf Förder- und Zuschussprogramme. Denn viele Festival-Veranstalter steckten angesichts des weitgehenden Ausfalls der mittlerweile zweiten Open-Air-Saison und des Ausfalls der Hallen-Saison im vergangenen Herbst und Winter in der Existenzkrise und bräuchten dringend mehr Unterstützung. Vom Land wünscht sich das Bündnis zudem einen neuen «vernünftigen Stufenplan» nach dem Vorbild der Bundesnotbremse, der klare Vorgaben schaffe und der die Unklarheiten durch unterschiedliche Regelungen von Land, Kommunen und einzelnen Gesundheitsämtern beseitigen könnte, wie Glinke sagt.
© dpa-infocom, dpa:210717-99-415922/2
Quelle: dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH

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