Deutlicher Anstieg bei Privatinsolvenzen in Sachsen

19. Juni 2021 ©
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Dresden (dpa/sn) - In Sachsen haben deutlich mehr Schuldner in den ersten vier Monaten des Jahres Privatinsolvenz angemeldet.
Wie das Statistische Landesamt in Kamenz auf Anfrage mitteilte, stieg die Zahl der Verfahren im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 926 auf 1459. Das entspricht einem Plus von mehr als 57 Prozent.
In welchem Umfang die Steigerung durch die Corona-Pandemie verursacht wurde, ist nicht bekannt. Experten zufolge ist die Entwicklung vor allem auf das seit Oktober 2020 geltende neue Insolvenzrecht zurückzuführen. «Wesentlich hierbei ist die Verkürzung des Verfahrens zur Restschuldbefreiung von bislang sechs auf drei Jahre», sagte der Leiter des Beratungszentrums Leipzig der Verbraucherzentrale Sachsen, Thomas Griebel. Die Betroffenen hätten in der Regel das neue Gesetz abgewartet und ihre Verfahren ins Frühjahr verschoben. Wegen des so entstandenen Staus könne es bei der Beratung zu Wartezeiten kommen.
Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 2156 Privatinsolvenzen, deutlich weniger als noch 2019 mit knapp 3200 Verfahren. 2018 wurden 3383 Privatinsolvenzen registriert. «Derzeit ergibt sich noch kein klares Bild zur Auswirkung der Corona-Pandemie auf die Überschuldungssituation», sagte Griebel. Der oft vorher gesagte rasante Anstieg der Überschuldungen sei bisher ausgeblieben.
Klar sei aber, dass viele Menschen und Haushalte wegen Kurzarbeit oder des Verlustes der Arbeit mit deutlich weniger Geld auskommen müssten. Vor allem die «immense wirtschaftliche Unterstützung» des Staates zur Abmilderung der Pandemie-Folgen hat Griebel zufolge Schlimmeres verhindert. Es sei paradox: Weil für viele die Einkommen relativ stabil geblieben seien, hätten die Menschen wegen fehlender Möglichkeiten des Konsums so viel Geld beiseite gelegt wie noch nie. Die Sparquote der privaten Haushalte sei auf einem Rekordwert. Andererseits: Nicht wenige Haushalte seien durch Kurzarbeit oder andere Einbußen in eine finanzielle Schieflage geraten. Corona sei als Überschuldungsrisiko neu hinzugekommen.
«Durch Corona ist in einigen unserer Beratungsstellen wie im Erzgebirge, in Auerbach/Vogtland und auch in Dresden-Prohlis die Nachfrage nach Beratung gestiegen», sagt Ulrike Novy von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Sachsen. «Meist handelt es sich dabei um Zahlungsschwierigkeiten wegen Kurzarbeit und Arbeitsplatzverlust durch Corona.» Die Berater fürchten eine «Corona-Überschuldungswelle» im Sommer oder Herbst 2021 - verbunden mit langen Wartezeiten. Es sei spürbar, dass sich das Überschuldungsproblem durch Corona auf weite Bevölkerungsschichten ausgedehnt habe.
Der Liga der Freien Wohlfahrtspflege Sachsen zufolge betreiben die Wohlfahrtsverbände 66 Schuldnerberatungsstellen, die 2020 rund 22 700 Menschen geholfen haben. Derzeit seien jedoch in Sachsen mehr als 390 000 Menschen überschuldet, hieß es unter Berufung auf Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform.
Problematisch sei die Zunahme der Hilfesuchenden vor allem, weil es in Sachsen kein Recht auf kostenlose Schuldnerberatung für jedermann gebe, sagte Novy. Dieses gebe es bisher nur für Empfänger von Sozialleistungen wie des Arbeitslosengeldes II. Deshalb fordere die AWO zusammen mit anderen Trägern der freien Wohlfahrtspflege das Recht auf kostenfreie Schuldnerberatung für alle - unabhängig von Leistungsbezug und Einkommen. Zudem brauche es eine bedarfsgerechte Anzahl an Beratungsstellen mit ausreichend Beratern, sonst seien in naher Zukunft erhebliche Engpässe zu erwarten, sagte Novy.
«Die Schuldnerberatung wird in Zukunft besonders wichtig sein, um die sozialen Folgen der Corona-Politik zu bewältigen», sagte die bei der Diakonie Sachsen zuständige Referentin Rotraud Kießling. Jetzt kämen auch Menschen in die Schuldnerberatung, die es selbst niemals für möglich gehalten hätten, in eine Verschuldungssituation zu geraten. «Gleichzeitig mussten wir teilweise unser Beratungsangebot aufgrund unzureichender kommunaler Finanzierung zurückfahren. Das kann so nicht bleiben», sagte Kießling.
Um der Nachfrage an Schuldnerberatung gerecht zur werden, wäre etwa eine Verdoppelung der Mitarbeiter erforderlich. «Ein nicht ausreichendes Netz von Schuldnerberatungsstellen, das nicht auskömmlich finanziert ist, kommt den Kommunen am Ende teurer zu stehen», sagte Kießling. Jeder Verschuldete, dem nicht gut geholfen werden könne, drohe in die Sozialhilfe zu fallen und so eine zusätzliche Belastung für die Kommunen zu werden.
© dpa-infocom, dpa:210619-99-57754/2
Quelle: dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH

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