Uraufführung gegen Schlussstrich

11. Juni 2021 ©
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Frankfurt/Main (dpa/lhe) - Mit der Uraufführung von «NSU 2.0» am Sonntagabend im Frankfurter Schauspielhaus will Regisseur und Autor Nuran David Calis große Fragen aufwerfen: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen der Terrorzelle NSU, den «NSU 2.0»-Drohschreiben, dem Täter des Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem des Anschlags von Hanau?
Das halbdokumentarische Stück enthält Ausschnitte der Aussagen der Täter vor Polizei und Gericht, sagte Dramaturg Alexander Leiffheidt.
Calis habe den Text in den vergangenen Monaten in kollektiver Zusammenarbeit mit den Schauspielerinnen und Schauspielern erarbeitet. «Das ist ein Prozess, der immer auch Impulse von außen hereinholt» - etwa durch Gespräche und Videointerviews der Adressaten der Drohmails. Aus vielen Diskussionen auch mit den Schauspielern entstehe so nach und nach das endgültige Stück. Pandemiebedingt konnte die ursprünglich geplante Premiere nicht vorher stattfinden.
Doch Zeit und Ort der Aufführung könnten kaum aktueller sein: In Frankfurt gingen die ersten mit «NSU 2.0» unterzeichneten Drohschreiben an die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz ein, hier wurde der Prozess gegen den Mörder von Walter Lübcke verhandelt, Hanau ist Teil des Ballungsgebiets Rhein-Main. Dass während der Arbeit an dem Stück der mutmaßliche Autor der mehr als 100 Drohschreiben der «NSU 2.0»-Serie festgenommen wurde, habe keine Änderung des Textes notwendig gemacht, sagte Leiffheidt. «Mit der Tagesaktualität beschäftigen wir uns weniger als mit den Fragen der Zusammenhänge und Hintergründe.» Diese Fragen seien mit der Festnahme des Tatverdächtigen «eher noch dringender geworden».
Und noch etwas verdeutlicht, wie aktuell das Thema Rechtsextremismus weiterhin ist: Als Ermittler seinerzeit feststellten, dass die privaten Daten von Basay-Yildiz unberechtigt von einem Polizeirechner abgerufen wurden, stießen sie auch auf eine Chatgruppe mit rechtsextremen Inhalten innerhalb des betroffenen Polizeireviers. Eher zufällig wurden bei einem anderen Ermittlungsverfahren nun bei 18 Beamten des Frankfurter Spezialeinsatzkommandos (SEK) Chatgruppen mit rechtsextremen Inhalten entdeckt.
In dem Stück soll vor allem der Blick auf die Betroffenen rechtsextremer Gewalt und Drohungen geschärft werden, hieß es vor der Uraufführung. Es solle gezeigt werden, dass die Opfer nicht «die anderen» seien, «sondern Menschen wie wir alle», sagte Leiffheidt. Spätestens der Mord an Walter Lübcke habe gezeigt, dass jeder Opfer werden könne, der sich für eine freiheitliche Demokratie einsetze.
Ziel sei es auch, den Sichtweisen der Einzeltäter-Theorien und Schlussstrich-Mentalitäten entgegen zu treten. «Wie viele Einzeltäter braucht es denn noch, bis wir anfangen können, über Strukturen zu sprechen? Und in welchem Umfeld reift in diesen vielen Einzelnen immer wieder der Entschluss, Täter zu werden? Diese beiden Fragen stellt das Stück.»
© dpa-infocom, dpa:210611-99-947061/2
Quelle: dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH

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