Wohin Obdachlose vor Kälte fliehen

9. Februar 2021 ©
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Eine heiße Tasse Kaffee, eine Mahlzeit, ein Plausch im Warmen: Bei frostigen Temperaturen suchen Wohnungslose vor allem in Thüringens Großstädten eine Gelegenheit, sich aufzuwärmen.
Erfurt/Jena/Suhl/Rudolstadt (dpa/th) - Eine heiße Tasse Kaffee, eine Mahlzeit, ein Plausch im Warmen: Bei frostigen Temperaturen suchen Wohnungslose vor allem in Thüringens Großstädten eine Gelegenheit, sich aufzuwärmen. Fahrten in der beheizten Straßenbahn oder im Bus sind nach dem Wintereinbruch vielerorts weggefallen und der Weg zur Obdachlosenhilfe ist bei den Schneemassen beschwerlich. An ihre Kapazitätsgrenzen kommen Thüringer Einrichtungen für Wohnungslose noch nicht, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Doch die Corona-Beschränkungen machen das Leben für Wohnungslose im Winter nicht leichter.
«Es hätte nicht schlimmer kommen können. Für die Menschen ist das eine Doppelbelastung - Corona und der Kälteeinbruch», sagt Sylvia Voigt, Bereichsleiterin bei der evangelischen Stadtmission Erfurt, die mit dem «Haus Zuflucht» eine Unterkunft für Obdachlose anbietet. Der Andrang sei trotz Minustemperaturen von bis zu minus 16 Grad in Erfurt nicht größer als sonst.
«Nicht alle Betroffenen wollen in die Einrichtungen. Manche ziehen sich auch in Abrisshäuser zurück oder kommen bei Bekannten unter», sagt Voigt. Täglich seien Streetworker in Erfurt im Einsatz. Kapazitäten gebe es im «Haus Zuflucht» noch genug. «Wer möchte, kann kommen. Das geht auch ohne Formulare oder Schriftverkehr», sagt sie.
Beim Erfurter Tagestreff der Caritas mit Suppenküche, fiel der Andrang Anfang der Woche wegen des Schneechaos sogar geringer aus als sonst, wie Fachdienstleiter Christof Schönau sagte. «Ich vermute, dass uns die Menschen derzeit gar nicht oder nur schwer erreichen», sagte Schönau. Der Tagestreff hat zwischen 9 und 16 Uhr geöffnet. Im Winter, so Schäunau, sei immer wesentlich mehr Betrieb als im Sommer.
Wohnungslose können in der Suppenküche eine warme Mahlzeit bekommen und sich an einer Tasse Kaffee oder Tee aufwärmen. Bis zu 100 Menschen pro Tag waren hier vor der Corona-Pandemie. Inzwischen sind es 50 bis maximal 70. «Dann kommen wir bereits an unsere Kapazitätsgrenze», sagt Schönau. Maximal zehn Menschen dürfen derzeit gleichzeitig in den Tagestreff - um genügend Abstand zu wahren. Damit gerade in der kalten Jahreszeit jeder mal ins Warme kann, wurde der Aufenthalt auch zeitlich begrenzt: auf 45 Minuten pro Gast.
«Sich mal eine Stunde bei einem heißen Getränk in der Bahnhofsmission aufzuwärmen - dieser Bedarf ist jetzt im Winter stärker. Aber die Kontaktbeschränkungen bleiben ja trotzdem», sagt Frieder Weigmann, Sprecher der Diakonie in Mitteldeutschland. Die Obdachlosenhilfe lebe laut Weigmann von sozialen Kontakten, dem Arbeiten mit den Menschen. Vor diesem Hintergrund sei die Corona-Pandemie derzeit ein größeres Problem als der starke Wintereinbruch.
Im Obdachlosenheim in Jena gibt es nach Angaben der Stadt 47 Betten für Menschen, die keine Wohnung haben oder in einer Notsituation schnell ein Dach über den Kopf brauchen. Das Heim sei derzeit zu etwa zwei Dritteln belegt, sagt ein Sprecher der Stadt Jena. «Wir haben genügend Kapazitäten und der Bedarf ist in diesem Jahr nicht höher als in den Wintermonaten der letzten Jahre», so der Sprecher. Auch komme es sehr selten vor, dass beispielsweise ein Obdachloser am Bahnhof strandet und Hilfe brauche. «Die Obdachlosen, die es in der Stadt gibt, wissen ganz gut, wohin sie sich wenden können.»
In Suhl und in Rudolstadt wird die Situation als relativ entspannt eingeschätzt. Es gebe in Rudolstadt nicht viele Obdachlose, sagt Gabriele Kerst, Bereichsleiterin Obdachlosenhilfe in Rudolstadt. «Leute, die hier auf der Straße leben, gibt es fast gar nicht.» Es seien noch genügend Unterkunftsmöglichkeiten vorhanden. Auch mit dem Wintereinbruch sei der Bedarf nicht spürbar gestiegen. Ähnlich beschreibt eine Sprecherin der Stadt Suhl die Lage: Wenig Obdachlose, genug Platz.
In Mitteldeutschland, sagt Diakonie-Sprecher Weigmann, sei die Situation nicht so schlimm wie in größeren Städten - etwa in Berlin, Hamburg oder Frankfurt. «In der Regel sind die Betroffenen bekannt. Oft kann über Notquartiere ausgeholfen werden», sagt Weigmann.
Dennoch sei nicht ausgeschlossen, dass Obdachlose im Winter erfrieren, weil sie zum Beispiel betrunken oder unter Drogen draußen einschliefen. «Es ist durchaus legitim, jemanden anzusprechen oder die Polizei zu rufen», sagt Weigmann. Wenn man jemanden anspreche, bekomme man relativ schnell ein Gespür dafür, ob derjenige nur die kalte Luft genießt, oder ein Problem hat und Hilfe braucht.
«Nicht weggucken und vorbei gehen», sagt Voigt vom «Haus Zuflucht» in Erfurt. Am Montag hätten Passanten einen Mann in die Einrichtung gebracht, der zuvor im Schnee gelegen hatte. «Die haben richtig reagiert. Bei dem Wetter sind solche Situationen äußerst gefährlich. Man kann auch die Polizei informieren oder den Rettungsdienst», sagt Voigt.
© dpa-infocom, dpa:210209-99-365405/2
Quelle: dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH

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