Regelung zu psychisch Kranken fehlt noch

6. Februar 2021 ©
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Rund ein Jahr nach der Änderung des Waffenrechts sieht die Politik noch Reformbedarf. Nachbessern wollen die Innenminister von Bund und Ländern vor allem bei den Möglichkeiten für Waffenbehörden, Informationen über psychische Erkrankungen von Menschen zu erlangen, die legal Waffen besitzen oder sogar in der Öffentlichkeit mit sich führen dürfen.
Berlin/Hanau (dpa/lhe) - Rund ein Jahr nach der Änderung des Waffenrechts sieht die Politik noch Reformbedarf. Nachbessern wollen die Innenminister von Bund und Ländern vor allem bei den Möglichkeiten für Waffenbehörden, Informationen über psychische Erkrankungen von Menschen zu erlangen, die legal Waffen besitzen oder sogar in der Öffentlichkeit mit sich führen dürfen.
Im hessischen Hanau hatte ein Deutscher am 19. Februar 2020 - einen Tag vor Inkrafttreten des ersten Teils der bisher letzten Novelle des Waffengesetzes - neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen, bevor er mutmaßlich seine Mutter und schließlich sich selbst tötete. Der rechtsradikal motivierte Täter litt laut einem Gutachten an einer paranoiden Schizophrenie. Die für seine Waffenerlaubnis zuständige Behörde wusste aber wohl nichts von den Wahnvorstellungen des Sportschützen, obgleich dieser Monate vor dem rassistischen Anschlag einen sehr wirren Brief an den Generalbundesanwalt geschrieben hatte.
Auch als Folge des Verbrechens in Hanau sehen die Innenminister hier gesetzgeberischen Handlungsbedarf: Sie wollen in Zukunft nach Möglichkeit verhindern, dass jemand, der psychisch krank ist, Waffen besitzen darf. Das aktuell geltende Gesetz bietet hierfür zwar schon Ansätze: Die Zuverlässigkeit muss alle drei Jahre überprüft werden. Der Besitzer der Waffenerlaubnis kann dann zum persönlichen Erscheinen bei der Behörde aufgefordert werden, damit man sich ein besseres Bild von ihm machen kann. Wer mehr will, müsste aber Regelungen finden, die die ärztliche Schweigepflicht berühren und die daher in die Zuständigkeit der Gesundheitsminister fallen.
Die treffen sich das nächste Mal im Juni - etwa zur gleichen Zeit wie die Innenminister von Bund und Ländern. Auf der Tagesordnung dürfte bei den Gesundheitsministern dann allerdings immer noch vor allem die Bekämpfung der Corona-Pandemie stehen. «Ich verstehe, dass aufgrund der Pandemie alle zur Zeit extrem gefordert sind», sagt der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD). Ihm sei dennoch wichtig, «dass wir bei der Frage weiterkommen, wie wir verhindern können, dass psychisch kranke Menschen Waffen besitzen». Er gehe davon aus, dass dies auch bei der kommenden Innenministerkonferenz (IMK) besprochen werde.
Das Bundesinnenministerium hatte bei der zurückliegenden IMK eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die insbesondere auf eine Verbesserung der Kommunikation zwischen Gesundheitsämtern, Polizei und den zuständigen Waffenbehörden der Länder abzielen. Zur Umsetzung steht das Bundesinnenministerium im Dialog mit den Ländern, heißt es in Berlin.
Bis zum Sommer warten, um Antworten auf noch unbeantwortete Fragen zum Anschlag in Hanau zu bekommen, will die hessische Linke-Fraktion indes nicht. Sie fordert, dass der Generalbundesanwalt sowie Innenminister Peter Beuth (CDU) in der kommenden Woche dazu in der Sitzung des Innenausschusses Auskunft geben müssten. Ein entsprechender Berichtsantrag der Linken stehe auf der Tagesordnung der Sitzung am nächsten Donnerstag (11. Februar). Und auch dort soll sich vornehmlich mit dem Waffenrecht befasst werden. «Warum konnte der Täter legal Waffen besitzen, obwohl er seit 2002 immer wieder mit Wahnvorstellungen aggressiv und straffällig in Erscheinung getreten ist?», will Innenexperte Hermann Schaus unter anderem wissen.
Doch nicht nur psychisch Kranke sollen künftig per Gesetz enger überprüft werden dürfen. 2020 beschloss der Gesetzgeber auch, dass die Waffenbehörde jetzt für jede Waffenerlaubnis und später dann alle drei Jahre routinemäßig beim Verfassungsschutz anfragen muss, ob jemand als Extremist aufgefallen ist. Im Behördenjargon heißt das «Regelabfrage». Hat sich jemand einem extremistischen Verein oder einer entsprechenden Partei angeschlossen, kann dies dazu führen, dass die notwendige Zuverlässigkeit als nicht gegeben angenommen wird - auch dann, wenn die Partei nicht verboten ist. Allerdings muss jeder Einzelfall geprüft werden. Außerdem kann es vorkommen, dass einzelne Informationen des Verfassungsschutzes - etwa Erkenntnisse, die von ausländischen Nachrichtendiensten kommen oder durch Telefonüberwachung erlangt wurden - aus Quellenschutz-Gründen nicht an die waffenrechtliche Genehmigungsbehörde weitergegeben werden.
Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser übt Kritik: «Wir sehen jetzt, dass die kürzlich eingeführte Regelabfrage nicht das Allheilmittel ist. Hier entstehen riesige Datenmengen und eine enorme Bürokratie. Gefährliche Rechtsextremisten werden deshalb wohl nicht so rasch entwaffnet, wie es geboten wäre.» Besser wäre es, die Verfassungsschutzbehörden müssten «proaktiv ihre Erkenntnisse über bekannte Rechtsextremisten an die Waffenbehörden melden», statt sich auf die Nachfragen der Waffenbehörden zu verlassen.
Das tut der Inlandsgeheimdienst zwar gelegentlich, allerdings nur, wenn er einer Person erstmalig Erkenntnisse speichert, zu der eine Waffenbehörde zuvor bereits eine Anfrage gestellt hatte. Die Sicherheitsbehörden hatten Ende Dezember bundesweit rund 1200 tatsächliche oder mutmaßliche Rechtsextremisten auf dem Schirm, die legal Waffen besaßen - ein Anstieg um knapp 35 Prozent im Vergleich zu Ende 2019.
Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion geht zwar hervor, dass eine Waffenerlaubnis seit Anfang 2019 in 1729 Fällen versagt wurde. Demnach waren im Nationalen Waffenregister zudem zum Stichtag 20. Januar insgesamt 15 821 Erlaubnisse mit dem Status «zurückgenommen» und 21 646 Erlaubnisse als «widerrufen» gespeichert. Die Gründe dafür würden aber vom Bund nicht im Detail statistisch erfasst, führt das Innenministerium aus.
In der Summe hat die Zahl der erlaubnispflichtigen Waffen und Waffenteile in Privatbesitz zwischen 2017 und 2020 sogar zugenommen. Wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage mitteilte, waren im Nationalen Waffenregister zum 31. August 2017 insgesamt rund 5,36 Millionen Waffen und Waffenteile gespeichert. Vernichtete, exportierte und deaktivierte Waffen sind hier nicht mitgezählt. Drei Jahre später lag die Zahl bei rund 5,57 Millionen Waffen und Waffenteilen. Ein Grund für diesen Anstieg dürfte die Renaissance der Jagd sein. Seit 2009 steigt die Zahl der Jagdschein-Besitzer kontinuierlich.
Derweil bemängelte der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD), der Opferfonds des Landes Hessen sei mit zu geringen Mitteln ausgestattet und werde «der besonderen Verantwortung im Kontext rassistischer, rechtsterroristischer und antisemitischer Gewalt nicht gerecht». «In keinem anderen Bundesland gab es in den vergangenen 24 Monaten so viele Todesopfer von Rassismus und Rechtsterrorismus wie in Hessen. Dies muss besondere Berücksichtigung finden», hieß es in einem Offenen Brief an die Landtagsfraktionen von CDU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und FDP.
Ähnlich den Vorbildern in Thüringen und Bayern müsse ein solch spezifischer Opferfonds in Form einer unbürokratischen Einmalzahlung ohne Bedürfnisprüfung ausgezahlt werden. Kaminskys Aufruf wurde von allen Fraktionen der Hanauer Stadtverordnetenversammlung, von der «Initiative 19. Februar Hanau» sowie von der Bildungsstätte Anne Frank und der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt «Response» unterstützt.
© dpa-infocom, dpa:210206-99-326598/2
Quelle: dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH

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