Häusliche Gewalt in Zeiten der Corona-Pandemie

12. Juli 2020 ©
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Der Lockdown im Frühling zu Beginn der Corona-Pandemie hat tief in den Alltag der Menschen eingeschnitten: Kurzarbeit, Homeoffice, geschlossene Schulen - viele Familien verbrachten plötzlich sehr viel mehr Zeit zusammen in den heimischen vier Wänden als sonst üblich.
Frankfurt/Main/Wiesbaden (dpa/lhe) - Der Lockdown im Frühling zu Beginn der Corona-Pandemie hat tief in den Alltag der Menschen eingeschnitten: Kurzarbeit, Homeoffice, geschlossene Schulen - viele Familien verbrachten plötzlich sehr viel mehr Zeit zusammen in den heimischen vier Wänden als sonst üblich. Das kann eine Chance sein - aber auch eine Gefahr für solche Familien und Paare, die schon vor Beginn der Pandemie von körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt geprägt waren.
«Es besteht berechtigter Anlass zur Sorge, dass in der aktuellen Situation die Fälle zwischenmenschlicher Konflikte und damit auch häuslicher Gewalt zunehmen», betonte die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) im April, also mitten in der Zeit des Lockdown. «Wir wissen nicht, was hinter vielen geschlossenen Türen passiert und können dem nur mit besonderer Achtsamkeit und Sensibilität, für das was in unserer unmittelbaren Umgebung geschieht, begegnen.»
Hinschauen, hinhören - das ist um so wichtiger, wenn Betroffene von Gewalt angesichts von Abstandsregeln, Kontaktbeschränkungen und dem heruntergefahrenen öffentlichen Leben unsichtbar zu werden drohen. Keine Kollegin, keine Lehrer oder Erzieher, die Fragen zu verdächtigen blauen Flecken stellen können oder verändertes Verhalten bemerken können. Nun hat sich der Alltag ein großes Stück normalisiert - sind die Befürchtungen eingetreten?
«Wir haben erwartet, dass die Anrufe bei den Nottelefonen hochgehen wie sonst nach den Feiertagen», sagt Beate Herzog, Referentin für Gewaltschutz im Frankfurter Frauenreferat. «Aber wir konnten keinen signifikanten Anstieg bemerken.» Im Gegenteil, teils gab es weniger Anrufe - was natürlich auch daran liegen kann, dass Betroffene nicht ungestört und ungehört telefonieren konnten. Auch bei den Frauenhäusern sei im Vergleich zu den Monaten vor der Pandemie keine erhöhte Nachfrage bemerkt worden. Über die tatsächlichen Vorfälle häuslicher Gewalt sagt das allerdings wenig. «Die Dunkelziffer in diesem Bereich ist hoch», betont Herzog.
Viele Beratungsstellen gehen nach Angaben des Bundesverbands der Frauenberatungsstellen davon aus, dass vor allem dann, wenn die Krise abklingt und wieder Freiräume vorhanden sind, sich viele Frauen und Mädchen an die Beratungsstellen wenden werden, «um das Erlebte zu bewältigen und Schritte zu einem gewaltfreien Leben zu planen».
Ähnliches gilt für Anzeigen - schließlich können auch Ohrenzeugen von Gewalt in der Nachbarwohnung die Polizei rufen. «Es wurden keine überdurchschnittlichen Anzeigeneingänge zu häuslicher Gewalt verzeichnet», so eine Polizeisprecherin in Frankfurt. Für zuverlässige Aussagen sei es aber noch zu früh - dafür müsse ein längerer Zeitraum mit den Vorjahren verglichen werden. Ein Anstieg der angezeigten häuslichen Gewalt war jedenfalls in den vergangenen Jahren bemerkbar - von 1327 Fällen im Jahr 2017 zu 1595 Fällen im vergangenen Jahr allein in Frankfurt.
Auch hessenweit lässt sich nach Angaben des Justizministeriums bisher kein Anstieg der Fälle häuslicher Gewalt während der Coronakrise erkennen. «Dennoch ist davon auszugehen, dass die für die Eindämmung der Pandemie notwendigen Maßnahmen der Kontaktreduzierung mit einer Erhöhung von psychosozialen Belastungsfaktoren für die Bevölkerung einhergehen», hieß es dort. «Häusliche Isolation, Sorgen um Gesundheit und Beruf, finanzielle Nöte, fehlende Kinderbetreuung, steigender Alkoholkonsum, das Fehlen von sozialer Unterstützung und viele weitere Aspekte können zu einer Verschärfung von Konflikten führen.»
Dass Ministerium hat den Angaben zufolge sichergestellt, dass auch während der coronabedingten Kontaktbeschränkungen bei den Familiengerichten Anträge nach dem Gewaltschutzgesetz gestellt werden konnten, um etwa Kontakverbote gegen Täter zu erwirken. In den ersten drei Monaten waren in Hessen 756 entsprechende Anträge eingegangen. Das entsprach in etwa der Zahl der Vorjahre. Die Zahlen für das zweite Quartal, das besonders von der Corona-Pandemie betroffen war, liegen erst Ende Juli vor, hieß es.
Eine Studie der Universität München legt zumindest nahe, dass akute finanzielle Sorgen, Quarantäne, Kurzarbeit oder Ängste Risikofaktoren sind. Denn laut der repräsentativen Befragung von rund 3800 Frauen zwischen dem 22. April und dem 8. Mai zu den Vorfällen im Vormonat gaben rund drei Prozent an, mindestens einmal Opfer körperlicher Gewalt geworden zu sein.
Bei Befragten, die sich in Quarantäne befanden, betrug dieser Anteil 7,5 Prozent, bei akuten finanziellen Sorgen sogar 8,4 Prozent. Ein aussagekräftiger Vergleich mit Daten aus der Zeit vor der Pandemie wäre aber nicht aussagekräftig, schränkten die Wissenschaftlerinnen ein. Denn bisherige Studien nach Gewalterfahrungen hätten innerhalb längerer Zeiträume gefragt, nicht aber nach einem Zeitraum weniger Wochen. Eine Erkenntnis der Studie: Nur sehr wenige von Gewalt betroffene Frauen nutzten Hilfsangebote - auch dies könnte erklären, warum Frauenhäuser oder Krisentelefone keine erhöhte Nachfrage verzeichneten.
Quelle: dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH

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